Montag, 3. November 2014

Monatsbericht Oktober 2014

Und schon wieder ist ein Monat vorbei. Ich kann es noch gar nicht glauben und so musste ich zuerst einmal überlegen was den großes passiert ist worüber ich schreiben könnte. Dabei ist mir aufgefallen wie viel eigentlich doch passiert ist. Im Projekt habe ich inzwischen eine solche Regelmäßigkeit gefunden, das im Nu schon wieder Wochenende ist. Zwar bekomme ich die meisten außerplanmäßigen Aktivitäten immer noch erst kurz zuvor oder dann im entscheidenden Moment mit, allerdings freut sich die Putzfrau immer sehr über meine Hilfe. Sie wäscht mir dafür dann gerne meine Wäsche, weil wir in unserem Häuschen keine Waschmaschine haben. Was ich bisher nicht wusste ist, dass die Vorschulkinder (mit Außnahme eines Kindes) dieses Jahr erst in die Albergue gekommen sind. Nach und nach haben sie sich jetzt ganz gut eingelebt und zeigen plötzlich neue Seiten. Teils reißen die Ruhigeren jetzt plötzlich aus, aber auch die Aufmüpfigen haben plötzlich ruhige Momente. Leider lassen sich die Kinder in diesem Alter viel schneller von unruhigeren Stimmungen anstecken und so bringen sie mich an manchen Tagen fast an die Grenze meiner Nerven. Besonders schwer ist es immer wenn sie ihre Hausaufgaben machen müssen. Von der Vorschule bringen die Kinder nämlich täglich Hausaufgaben mit. Teils bestehen sie nur daraus, Muster wie Schlangenlinien nach zu fahren, teils aber auch aus Aufgaben wie: "Zeichne deinen Körper" oder "Schneide aus einer Zeitschrift Bilder zum Thema Gerechtigkeit aus". Die Jüngsten sind gerade erst 3 Jahre alt geworden und so fallen ihnen diese Aufgaben sehr schwer. Sogar ich hatte Schwierigkeiten Bilder zu finden, die so eindeutig Gerechtigkeit ausdrückten, dass man sie auch mit einer einfachen Argumentation begründen hätte können.
Die Vorschulkinder der Albergue
Letzte Woche war in der Vorschule ein Fest der "Vereinten Nationen". Einige Kinder bekamen Kostüme, die verschiedene Länder verkörpern sollten und es wurde ein Puppentheater zum Thema Zusammenarbeit vorgeführt. Zwei der Kinder der Albergue waren verkleidet als Saudi-Arabien und.... etwas nicht genau Erkennbares, was ich spontan Russland zugeschrieben hätte. Als ich mich darüber beim Mittagessen versichern wollte, fragte meine Kollegin ganz erstaunt, ob ich denn nicht erkannt hätte, dass das Deutschland war. Und so wurde dann aufgeräumt mit Deutschen in blau-weißer Tracht und Mexikanern mit Sombrero und Schnurrbart.
So sieht eine deutsche Tracht in Mexiko aus
Da die jüngeren Kinder mehr Aufmerksamkeit brauchen, nehme ich in der Arbeit mit den Vorschulkindern mehr die Rolle einer zweiten Erzieherin ein. Darin unterscheidet sich auch meine Arbeit mit den Dritt- und Viertklässlern. Hier existiere ich mehr neben dem Erzieher. Anfangs kam ich mir dadurch etwas überflüssig vor. Inzwischen merke ich aber, dass ich so auch die Freiheit habe, mich auf einzelne Schüler zu konzentrieren. Zum Beispiel setze ich mich gelegentlich mit dem Radiergummi neben einen sehr unordentlichen Schüler, nur um jeden unordentlichen Buchstaben direkt wieder aus zu radieren, bis er ihn schön aufs Papier bringt. Dabei kam ich mir schon beinahe unverschämt streng vor. Allerdings hat es gewirkt und trotz meiner Tyrannei fragt er mich nun jeden Tag, ob ich ihm wieder bei seinen Aufgaben helfe. Mittlerweile hat er natürlich auch schon die Schwachstelle meiner Taktik entdeckt und so macht er die Buchstaben, wenn er wirklich keine Lust hat, mit jedem Ausradieren noch schlimmer als zuvor. Dennoch haben wir beiden an guten Tagen unsere kleinen Erfolgserlebnisse.

Vor zwei Wochen war hier in der Stadt das Fest der "Virgen de Zapopan". Die „Jungfrau“ ist eine Marienstatue der Basilika in Zapopan. Jeden Frühling begibt sie sich allerdings auf eine Kirchentour durch Guadalajara. Am 12. Oktober kehrt sie dann, aus der Basilika von Guadalajara, heim, in die Basilika von Zapopan. Dieser fast acht Kilometer lange Weg wird mit einem riesigen Festzug gefeiert. Da ich nicht genau wusste welchen Weg der Umzug nehmen würde, und wie ich mit dem Bus dort hin komme, bin ich zum Anfangsort des Umzugs gefahren. Gehört hat man den von Perkussion begleiteten Umzug schon von weitem. Als ich dann dort ankam war ich erst einmal etwas durcheinander: Die Kostüme der Gruppe die in diesem Moment an mir vorbei lief, hatten eine verrückte Ähnlichkeit mit den Kostümen die ich von unserem allgäuer Fasching kenne.
Festumzug "Nuestra señora de Zapopan"
Die meisten folgenden Gruppen erinnerten dann eher an präkolionialistische HerrscherInnen, KriegerInnen oder TänzerInnen, beziehungsweise daran, wie ich mir diese vorstelle. Einige der Kostüme waren geschmückt mit katholischen Symbolen wie einem PX oder einer Maria, und dann tauchte plötzlich ein Mann in der Verkleidung des kreuztragenden Jesus zwischen all den Federn der anderen Kostüme auf.
DSCN1519
Ich fand diese Mischung unglaublich spannend. Bei uns Zuhause sind diese "Fasnetsumzüge" ja eher etwas "heidnisches", hier hat es sich wohl vereint. Ich hatte ja schon in meinem letzten Bericht geschrieben, dass sich der Glaube hier mit den prä-kolionialistischen Bräuchen mischt. Dazu würde ich auch zählen, dass Maria oder Jungfrau von Guadalupe wie sie hier genannt wird, eine dunkle Hautfarbe hat und nicht das, von den Missionaren eingeführte, weiße Hautbild verkörpert. Oder etwa eine Statue, die ich auf einem Kunsthandwerk- Markts gesehen habe: Ein Jesus der nicht am Kreuz sondern an einem Lebensbaum abgebildet ist.
Die Geschichte der Statue ist gleichzeitig auch die Geschichte der Stadt und die Begründung ihrer großen Bedeutsamkeit. Mitte des 16 Jahrhunderts fanden in der Gegend hier Kämpfe der Kolonialisten mit den Einheimischen statt. Bei einem solchen Kampf sollen die Einheimischen auf die Knie gefallen sein und sich ergeben haben, als ein Mönch auftauchte der diese Marienfigur auf seiner Brust trug. Daraufhin trug dieser sie in die nächstgelegene Siedlung, wo ihr zu Ehren eine Kirche errichtet wurde.

Ob also nun die Kostüme des Umzugs die Vermischung der präkolumbianischen Kultur mit der "gebrachten" Religion, oder die Erfurcht der indigenen Bevölkerung vor dieser Figur  verkörpern, weiß ich nicht und habe es leider auch nicht herausgefunden.
Das Fest war auf jeden Fall gigantisch. Die vierspurige Straße auf der der Umzug immer stattfindet war über ihre ganze Länge mit Menschen gefüllt. Teilweise kam ich weder vorwärts noch rückwärts. Es heißt, dass jährlich mehr als 2 Millionen Menschen daran teilnehmen. Überall gab es Essensstände, Kunsthandwerk und sonstige Sachen zu kaufen, und ich konnte alles probieren.

Letztes Wochenende war ich dann in Ocotlan, einer etwas kleineren Stadt außerhalb in der unser Koordinator und auch andere Freiwillige wohnen. Auf dem Weg ins Zentrum der Stadt mussten wir immer die Bahngleise überqueren. Das Schienennetz hier in Mexiko ist nur sehr begrenzt und wird ausschließlich für den Güterverkehr verwendet. Es gibt keine Schranken, weshalb ein passierender Zug gefühlt durchgehend Hupsignale gibt. Dieses Geräusch hört man auch in unseren Haus in Guadalajara, das etwa drei Kilometer von der Bahnlinie entfernt ist, nahezu immer. Wahrscheinlich wird dieser Zug, der auch "la bestia" (Die Bestie) genannt wird, einigen ein Begriff sein. Er ist es, der die Migranten aus Zentralamerika zur  Grenze der Vereinigten Staaten von Amerika bringt. Sie werden hier gehässig "los mojados"(Die Durchnässten) genannt, da sie die Fahrt von 3000 bis 4500 Kilometern bei jedem Wetter auf dem Dach der Güterwägen verbringen. Auch in Ocotlan sieht man sie an den Gleisen ausruhen oder sie sprechen einen beim Überqueren der Gleise an und bitten um Hilfe und Essen. Jährlich machen sich mehr als 200.000 Menschen aus Hoduras, El Salvador, Guatemala, Belize und Nicaragua so auf den Weg in Richtung Norden.  Viele sterben, werden zurückgeschickt oder kehren vom Zug verstümmelt nach Hause zurück, mehr als 10.000 jedoch verschwinden. Denn die geschwächten Reisenden sind in ihrer Mittellosigkeit unter anderem der Gefahr von Banden und Kartellen ausgesetzt.
So makaber es klingt, aber toll an dieser Geschichte finde ich die vielen Freiwilligen, die die Migranten auf dieser gefährlichen Reise durch Notunterkünfte oder Essen entlang der Schienen unterstützen. Zum Beispiel eine Gemeinschaft von 14 Frauen im Bundesstaat Veracruz, die sich seit 15 Jahren täglich treffen um zu kochen und um das Essen dann den Reisenden auf dem vorbeifahrenden Zug, in Tüten, zu zuwerfen.
Ich möchte mit dieser Information auf keinen Fall das Bild stärken, welches, meiner Meinung nach, durch die vielen negativen Schlagzeilen in Europa von Mexiko aufkommt. Die Zeit die ich bisher schon hier verbracht habe, hat mir nämlich ganz Anderes gezeigt.  Allerdings fände ich es auch nicht richtig, durch meinen Bericht ein ausschließlich idyllisches Bild zu erzeugen.

Ansonsten genießen wir hier noch sehr das Wetter. Langsam hat die Regenzeit nun aufgehört und so haben wir eigentlich fast täglich blauen Himmel. Allerdings hat es nachts jetzt auch nur noch um 10 Grad Celsius und so ist es morgens im Schatten noch sehr kalt.
Die Mangozeit ist jetzt leider endgültig vorbei, dafür fängt jetzt die Ananaszeit an und es gibt sehr leckere Mandarinen. Allerdings löst der Geruch der Mandarine bei mir immer eine weihnachtliche Stimmung aus, die sich hier bei tagsüber 25 Grad Celsius irgendwie deplatziert anfühlt.

Am ersten und zweiten November ist hier der bekannte "Dia de los muertos" (Allerheiligen), der in unserer Region ganz besonders gefeiert werden soll. Ich bin schon sehr gespannt und werde euch mit Sicherheit am Ende des Monats davon berichten.
Ich habe seitlich (unter "Links") noch einige Links für mehr Informationen zum Thema „la bestia" aufgeführt, für die, die sich dafür interessieren.
Falls ihr noch weitere Anregungen habt, würde ich mich, wie gehabt, sehr darüber freuen.

Liebe Grüße, Sophia

sophia.kiefl@gmail.com

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